Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Sonderpädagogische Förderung und Inklusion an sächsischen Schulen voranbringen“ (Drs 7/4652)
Die UN-BRK fordert in Artikel 24 die Anerkennung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage von Chancengleichheit. Um dieses Recht zu verwirklichen, bedarf es eines integrativen Bildungssystems auf allen Ebenen, einschließlich des gleichberechtigten Zugangs zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen. Ziel ist die Teilhabe statt einer gesellschaftlichen und institutionellen Ausgrenzung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen.
Am Donnerstag, dem 25. März, diskutierte der 7. Sächsische Landtag in der 26. Plenarsitzung auf Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD zum Thema „Sonderpädagogische Förderung und Inklusion an sächsischen Schulen voranbringen“. Der Antrag sieht u. a. vor, durch verschiedene Maßnahmen die sonderpädagogische Expertise zu stärken. Zudem sollen die Regelungen für Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in der Novelle des Schulgesetzes 2017 neu gefasst wurden, durch eine umfassende Bestandsaufnahme des Status quo der schulischen Inklusion evaluiert werden.
Im Antrag heißt es:
„Der Landtag möge beschließen,
die Staatsregierung zu ersuchen,
- über den Stand der Umsetzung des § 4c sowie des § 13 des Schulgesetzes des
Freistaates Sachsen (SächsSchulG) zu berichten,
[…]
- im Zuge der Umsetzung der Inklusion in sächsischen Schulen:
- beim Ausbau der Kapazitäten in den Lehramtsstudiengängen das Lehramt
Sonderpädagogik besonders zu berücksichtigen und dabei ein Modell, welches
auf der Kooperation zwischen der Universität Leipzig und einer Hochschule für
angewandte Wissenschaften basiert, zu etablieren,
- in den übrigen Lehramtsstudiengängen die Themen sonderpädagogischer
Förderbedarf und inklusive Bildung weiter zu stärken,
- Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger für das Lehramt Sonderpädagogik
zu werben und entsprechende berufsbegleitende Weiterbildungsangebote
vorzuhalten,
- den Beruf der Sonderpädagogin bzw. des Sonderpädagogen – sei es an
Förderschulen oder in der inklusiven Unterrichtung – durch eine gezielte
Werbeaktion für Studienanfängerinnen und Studienanfänger bekannter zu
machen,
- Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf
hinsichtlich der freiwilligen Wiederholung einer Klassenstufe bei inklusiver
Unterrichtung durch Anpassung der Schulordnungen grundsätzlich die gleichen
Möglichkeiten wie Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen
Förderbedarf einzuräumen,
- Schwerpunktschulen mit besonderen Angeboten für einen oder mehrere
Förderschwerpunkte zu etablieren,
- Best-Practice-Beispiele von inklusiver Unterrichtung zu identifizieren und
anderen Schulen als Anregung verfügbar zu machen,
- die Gründung eines unabhängigen Beirates „Inklusive Schule in Sachsen“ bis
Ende des Jahres 2021 in die Wege zu leiten.
III. die vorgenannten Beschlussziffern unter Vorbehalt des durch den Sächsischen
Landtag verabschiedeten Doppelhaushaltes 2021/2022 umzusetzen.“
Rednerin Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) sagte in der Debatte, es sei „klar, dass der Weg noch weit ist. Wir müssen flächendeckend die notwendigen organisatorischen, personellen und sachlichen Voraussetzungen für inklusiven Unterricht schaffen.“ Die Zahlen aus dem Kultusministerium dokumentierten außerdem den großen Mangel an sonderpädagogischen Fachkräften. Es fehle vielerorts an sonderpädagogischem Know-how. „Inklusion setzt nicht auf das Anpassen Einzelner, sondern auf das Umdenken Aller. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Prozess voranbringen“, so Frau Melcher.
Rednerin Sarah Buddeberg, DIE LINKE, verweist auf die UN-BRK und spricht konkret zur Fragestellung Förderschule oder inklusive Schule: „Für uns als LINKE ist klar, wir wollen Inklusion an sächsischen Schulen voranbringen. […] Herr Piwarz, Sie sind zitiert mit der Aussage: ‚Wer Inklusion meint, muss auch Förderschule sagen‘, und da liegt […] der Hase im Pfeffer. Das Ziel für uns ist zu fördern ohne Sonderschule. Das ist natürlich ein Fernziel, d. h. nicht, dass die Förderschulen von jetzt auf gleich zu schließen sind, denn wir wissen, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die dort gut aufgehoben sind und die dort auch eine sehr gute Förderung erhalten, insbesondere durch die engagierten Fachkräfte, die dort arbeiten. Dennoch sind wir unbedingt der Meinung, dass Inklusion an allgemeinbildenden Schulen die vorrangige Form der sonderpädagogischen Förderung sein soll, der Normalfall also, und nicht die Ausnahme.“
Wie auch Sarah Buddeberg von DIE LINKE in die Debatte einbringt, fördert das gemeinsame Unterrichten von Kindern mit und ohne Behinderungen Inklusion in der Gesellschaft. Es fördert soziale Kompetenzen, die Überwindung von Grenzen, Chancengerechtigkeit und die Toleranz bei allen Schüler:innen. Kurzum, inklusive Bildung ist eine Bereicherung für alle. Förderschulen sind aber oft kein durchlässiges System. Statistiken zeigen, dass die Quote der Schüler:innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf, die an Regelschulen wechseln, verschwindend gering ist und sich ähnlich verhält wie das Verhältnis von Menschen in Werkstätten, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln.
Lobenswert sind auch die Ausführungen der SPD-Rednerin, Sabine Friedel, zur Notwendigkeit einer gemeinsamen Unterrichtung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf und der Stärkung des Personals. Sie sagt dazu u. a.: „Die Förderschulen haben kein Problem mit Mitteln. Die Förderschulen haben ein Problem mit Personal, weil wir momentan zu wenig Personal haben. Da helfen finanzielle Mittel [für Förderschulen, Anm. der Redaktion] nicht.“ Sie weist jedoch auch darauf hin, dass bereits viele Wege auf den Weg hin zur Inklusion in Schulen beschritten worden. Als Beispiel führt sie die Inklusionsassistent:innen an, von denen seit der Novelle im Jahr 2017 an Regelschulen insgesamt 240 eingestellt worden sind. Inklusionsassistent:innen sind tatsächlich ein Weg, die Lehrkraft im Unterricht zu unterstützen. Im Land Sachsen gab es im Schuljahr 2017/18 insgesamt 830 Grundschulen, 350 Mittel- bzw. Oberschulen und 164 Gymnasien (Statistisches Landesamt 2018: Statistisch betrachtet. Schulen in Sachsen, S. 9). Nun wird schnell klar, dass die Zahl 240 in keinem Verhältnis zu der Anzahl der Schulen steht. Dazu kommt, dass die Einstellung von Inklusionsassistent:innen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist und die Eigeninitiative der Schulen erfordert, da sie nicht direkt vom Freistaat Sachsen angestellt werden, so wie Lehrkräfte, sondern bei freien Trägern angesiedelt sind. Dies zeigt, dass das Konzept der Inklusionsassistent:innen nur halb durchdacht ist und in dieser Art keine Dauerlösung sein kann. Stattdessen muss der Fokus, wie im Antrag der CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD auch vorgesehen, auf die Sonderpädagogik gelegt werden.
Auch Kultusminister Christian Piwarz (CDU) verfolgte die Debatte und äußerte sich zum Antrag. Er sagte: „Zum Schluss geht es ja immer darum, dem einzelnen jungen Menschen, dem Kind, dem Jugendlichen, auf welcher Stufe es sich auch immer befindet, bestmöglich gerecht zu werden. […] Ich kann nur empfehlen, diesen Antrag anzunehmen und der Inklusion weiter Vortrieb zu geben.“
Die LAG SH Sachsen begrüßt die Forderung der antragstellenden Fraktionen, im Interesse einer gelingenden Inklusion einen Zwischenstand zu erheben und die Entwicklung der Umsetzung des novellierten Schulgesetzes zu evaluieren. Damit kann bei Bedarf rechtzeitig reagiert werden. Zudem ist es immens wichtig, den Beruf des Sonderpädagogen bzw. der Sonderpädagogin wie vorgesehen zu stärken. Dabei ist sowohl der Ausbau der Kapazitäten im Lehramt Sonderpädagogik als auch die Stärkung der Themen sonderpädagogischer Förderbedarf und inklusive Bildung im Lehramtsstudium ein wichtiger Schritt hin zu Inklusion in der Schule.
Kritisch betrachtet die LAG SH Sachsen jedoch das Vorhaben, auch Seiteneinsteiger:innen durch berufsbegleitende Weiterbildungsangebote für das Lehramt Sonderpädagogik zu werben. Hierbei sollte vor Beginn der Umschulung Vorqualifikation und Eignung genauestens überprüft werden. Der ursprünglich als Notlösung gedachte Seiteneinstieg in den Lehrberuf steht generell in der Kritik und geht nun in eine Dauerlösung über. Laut Landesamt für Schule und Bildung (LASUB) wird keine aktuelle Statistik zu Abbruchquoten bei Seiteneinsteiger:innen in Sachsen geführt, Erfahrungsberichte von Schüler:innen und Lehrkräften zeigen aber vielerlei Probleme auf. Dazu zählen u. a. eine unzureichende Eignung oder lückenhafte Vorbereitung und fehlende Unterstützung der Seiteneinsteiger:innen. Mehr Informationen dazu finden sich auf https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/notloesung-wird-zum-dauerzustand/.
Gerade die Sonderpädagogik ist jedoch ein besonders wichtiges und ausbildungsintensives Element auf dem Weg hin zu schulischer Inklusion. Im Hochschulstudium werden zusätzlich zum didaktischen Wissen auch sozialwissenschaftliche Kenntnisse vermittelt und in schulpraktischen Übungen auf den Einsatz vorbereitet. Daher sollte ein Seiteneinstieg umfassend geplant und in der Ausbildung einem Hochschulstudium der Sonderpädagogik nicht nachstehen. Generell ist es wichtiger, dass das Studium der Sonderpädagogik stärker beworben wird und sonderpädagogische Inhalte in das reguläre Lehramtsstudium als Wahlpflichtfach übernommen werden, wie im Antrag vorgesehen.
Die Debatte in der Plenarsitzung vom 25.03.2021 zeigt, dass das Thema Inklusion in der Bildung von den meisten Fraktionen im Sächsischen Landtag durchaus als Problematik, die es dringend anzugehen gilt, erachtet und unterstützt wird. Den Worten müssen nun jedoch auch Taten folgen.