Partizipation in der Demokratie – Podiumsdiskussion der LAG SH Sachsen lief erfolgreich
„Inklusion ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält“
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist nach wie vor in Deutschland nicht umfassend umgesetzt, obwohl Deutschland sie 2009 ratifizierte. Dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf politische Mitwirkung haben, ist in Artikel 29 festgeschrieben.
Am 05. Oktober 2021 diskutierte daher das Publikum gemeinsam mit den Experten bei der Podiumsdiskussion der LAG SH Sachsen über die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in der Demokratie.
Zunächst stellte Johannes Gyarmati vom Verein Sozialdenker e. V. das Bündnis für ein „Inklusionsforum im Deutschen Bundestag“ und dessen Ziele vor. Er betonte, dass die Diskussion zwischen Menschen mit Behinderungen und den Abgeordneten eine Möglichkeit ist, Gehör zu finden. Diese Diskussion sollte nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene ermöglicht werden.
Danach gab Stephan Pöhler, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, einen Impulsvortrag zum System der politischen Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen in Sachsen. Mit der Verabschiedung des neuen sächsischen Inklusionsgesetz in 2019 wurden auch neue Regeln für die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen festgelegt. Herr Pöhler stellte heraus, dass auf Landesebene drei Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen gegeben seien: Der Sächsische Landesbeirat für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, der Beirat zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen sowie die Beteiligungsplattform für den Sächsischen Aktionsplan.
Mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen
Anschließend folgte die Podiumsdiskussion. Als Experten saßen dabei Johannes Gyarmati, Stephan Pöhler, Frieder Kurbjeweit (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention) und Lucie Hammecke (gleichstellungspolitische Sprecherin der BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag) im Podium. Der Konsens dieser Diskussion lautete, dass die Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen in Sachsen derzeit zumindest ausbaufähig sind.
Lucie Hammecke sagte dazu: „Ich glaube, zuerst braucht es insgesamt in der Gesellschaft ein Wechsel vom Bild, dass Teilhabe ermöglichen etwas ist, was man Menschen schenkt.“ Weiter äußerte Frau Hammecke, dass Teilhabe eine Selbstverständlichkeit sei. Für die Selbstvertretung müssen daher bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, z. B. hinsichtlich finanzieller Ressourcen.
Johannes Gyarmati bekräftigte: „Inklusion ist für unsere Gesellschaft – gerade jetzt, da wir gerade eine Spaltung erleben – mehr als wichtig. Inklusion ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.“ Er fordert die Erschließung einer Partizipationsmöglichkeit auf Landesebene, ähnlich dem Inklusionsforum auf Bundesebene. Dafür ermutigt er die Gäste der Podiumsdiskussion zu Mitwirkung und aktivem Engagement. „Wir brauchen den Dialog. Es muss geschaut werden, was ist praxistauglich und wo muss nachgearbeitet werden?“ Denn: „Die Erfahrung, die jeder Einzelne von uns mitbringt, haben die Abgeordneten nicht.“
Auch Stephan Pöhler ermuntert die Anwesenden: „Beteiligung funktioniert am besten, wenn Menschen mit Behinderungen in den Parlamenten mitwirken. […] Ich fordere Sie auf, den Weg in die Parlamente zu gehen, sich zu bewerben, sich zu engagieren, denn nichts ist besser als das konkrete Beispiel im Landtag – wenn dort ein Gehörloser sitzt, wenn dort ein Blinder sitzt, wenn dort ein Rollstuhlfahrer sitzt. Dann kann man jeden Tag immer wieder diese Begegnung erleben. Dann kommt es, dass sich in den Köpfen etwas ändert.“
Kritik an der Fortschreibung des Landesaktionsplans
Im Vordergrund der Diskussion standen vor allem die derzeit laufende Evaluation und die Fortschreibung des Sächsischen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-BRK. Die LAG SH Sachsen kritisiert dabei besonders das kurzfristige Vorgehen bei der Ernennung der Kandidat*innen für die Mitarbeit in den Unterarbeitsgruppen (UAG). Die Benennung erfolgte über den Sächsischen Landesbeirat zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen (SLB).
Ein Mitglied des SLB gestand ein, dass eine Nachsteuerung nötig sei, betonte aber gleichzeitig, dass die Beteiligungsmöglichkeit geboten wurde. Stephan Pöhler führte dazu aus: In den UAG säßen Menschen mit Behinderungen, aber geleitet werden sie von Verwaltungskräften, d. h. von Mitarbeitenden der Ministerien. Über 40 Menschen mit Behinderungen aus Sachsen hätten sich für die Mitarbeit in den UAG gemeldet.
Für die LAG SH Sachsen als Veranstalter haben sich erste, nicht abschließende Fragen ergeben, welche weiter diskutiert werden sollten: Ist der SLB ein ausreichendes Instrument zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Sachsen? Oder bedarf es einer Nachjustierung? Welche Verbesserungsvorschläge können formuliert werden? Wie kann sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderungen ausreichend Mitspracherecht bei der Fortschreibung des Sächsischen Aktionsplans haben?
Die gesamte Diskussion finden Sie auf unserem YouTube-Kanal.
Inklusionsforum im Deutschen Bundestag
Der damalige Bundestagspräsident Prof. Dr. Nobert Lammert hat am 28. und 29. Oktober 2012 Menschen mit Behinderungen zu ihren Belangen in den Deutschen Bundestag eingeladen und versprochen, diesen Kontakt – wie das Jugendparlament – alle zwei Jahre fortzuführen. Die Auswahl der Personen lief über die Abgeordnetenbüros. Aus den Wahlkreisen wurden Menschen mit Behinderungen, die sich dort beworben hatten, für das Behindertenparlament weitergemeldet. Dort bildeten sich Arbeitsgruppen, z. B. zum Thema Arbeit und Soziales, Gesundheit und Haushalt und Finanzen. Die erarbeiteten Ergebnisse wurden dokumentiert.
Seither fand jedoch nur eine fraktionsübergreifende Fachveranstaltung am 23.09.2016 statt. Der Verein Sozialdenker e. V. fordert daher die Fortführung des Behindertenparlamentes (Inklusionsforum im Deutschen Bundestag) ein, um mit den Mitgliedern des Bundestages aller demokratischen Parteien über Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit zu diskutieren und um gemeinsame Rahmenbedingungen festzulegen.
Mehr zum Aufruf erfahren Sie hier: www.sozialdenker.de.
Autorin: Anne Hiecke
Bild: Sachsenfernsehen